Einzeltäter


Einzeltäter
Manche Verbrechen sind derart schockierend, dass ihr ungeheuerliches Ausmaß die Frage aufwirft, ob tatsächlich eine einzelne Person sie begangen haben kann. Zumindest erachtet man es für unmöglich, dass im Umfeld des Verbrechens keiner dessen Vorzeichen wahrgenommen hat.
Es war ein in Österreich verübtes und über die Landesgrenzen hinaus für seine Abgründigkeit bekanntes Verbrechen, welchem sich das Wort „Einzeltätertheorie” verdankt. Da der Haupttäter Selbstmord verübte, nachdem sein über Jahre hin verstecktes Entführungsopfer entkommen war, löste dieser Fall eine Debatte aus, in der nicht nur der Freitod des Täters als vermeintlicher Mord gesehen wurde, sondern auch eine fieberhafte Suche nach Mittätern einsetzte. Dem Opfer selbst, bei seiner Befreiung bereits eine junge Frau, wurde als Zeugin weniger Glauben geschenkt als einem zum lang zurückliegenden Tatzeitpunkt noch sehr jungen Mädchen, das zwei Entführer gesehen haben will.
Unabhängig davon, dass es dabei schon fast zu einer Übertragung der Schuld des Täters auf sein Opfer gekommen wäre, im Zuge dessen das Bild einer hübschen jungen Frau die Medien beherrschte, deren Name – nicht etwa der Name des Täters – den Fall bezeichnete, möchte ich das zu diesem Anlass generierte Wort „Einzeltätertheorie“ verwenden, um damit ein spezielles Verhältnis der notwendigen Position des Bildmediums für die Gesellschaft zu beschreiben.
Befürworter der „Einzeltätertheorie“ verorten die Verantwortung alleine in einer Person. Strafmildernde soziale Umstände wie etwa eine Beteiligung anderer am Verbrechen, und sei es nur durch Wegsehen oder schweigende Zustimmung, werden von Anhängern der „Einzeltätertheorie“ negiert. So kann das Gesicht eines einzigen Täters der Gesellschaft entgegengehalten werden. Man ist versucht zur Annahme, dass so ein Bild die Suche nach gesellschaftlichen Kausalzusammenhängen, die zum jeweiligen Verbrechen führen konnten, ersetzen soll.

Meine Serie „Einzeltäter“ zeigt Porträts von Menschen, die der Öffentlichkeit bekannt sind. Sie besetzen eine öffentliche Funktion oder haben ein Verbrechen begangen, das einen großen Schock ausgelöst hat: Ein Bild zeigt den Helden einer weltweit ausgestrahlten Krimiserie, ein anderes den Papst, ein weiteres den russischen Präsidenten Vladimir Putin.
Alle sind sie Protagonisten der Verantwortung, Verantwortlichkeit und Schuld bzw. des Ruhms, ob nun Entscheidungsträger oder Verbrecher. Der Blick auf diese Menschen verbindet sich mit dem Wunsch, alle Verantwortung an etwas Bedeutendem diesem einen Gesicht festzuschreiben.
Komplexe Zusammenhänge, die zu einer Entscheidung oder Tat führen, finden in dieser Perspektive keinen Platz. Sie werden zurückgedrängt zugunsten des Drangs nach Verortung der Verantwortung in dieser einen betreffenden Person.
Die Übertragung der Perspektive aus dem Bereich des Verbrechens auf Bereiche des öffentlichen Lebens funktioniert auf einer Ebene, wo der Gesellschaft statt einer Reflexion der gesellschaftlichen Verhältnisse lediglich das Bild einer Person geboten wird, um sie für bestimmte aktuelle Zustände verantwortlich zu machen. Um Zustände zu verändern, muss die betreffende Person „aus dem Verkehr gezogen“ werden. Die verantwortliche Person muss „ihren Kopf hinhalten“. Ein „Köpferollen“ wird herbeigewünscht.
Stimmen, die „zur Vernunft rufen“, werden in einer emotional mit Rachegelüsten aufgeschaukelten Situation nicht mehr gehört.